Kapitel 91: Die Zeit als Luft zwischen unseren Händen.


Ich beginne mit einem Gedicht von Nikolaus Scheibner. Es steht in seinem Gedichtband "Ethik der künstlichen Intelligenz", der 2023 in der Edition fabrik.transit erschienen ist.
closemaulende blätter

closewährend ich vom
closekind zum dummkopf
closegealtert bin ist für
closeden baum kaum der
closemontag vergangen

Es passt sehr gut zu diesem Gedicht, dass ich gerade ein Buch über die Zeit lese. Das Buch heißt "Zeitbewusstheit" und stammt von Marcia Bjornerud. Es ist ein Buch darüber, wie die Zeit sich bemerkbar macht und machte. Ja, da geht es auch um andere Intervalle als um jene, in der ein Mensch vom Kind zu irgendeiner Art Dummkopf wird, was vielleicht in gewisser Weise Teil des Lebens ist. Die Idee, Dummkopf zu werden, hat mich am Anfang, beim ersten Lesen irritiert, wer möchte schon ein Dummkopf werden! Andererseits ist Dummkopf irgendwie zeitlos, geschlechtsneutral und es stellt sich die Frage, ob nicht die Dummheit zwingender Teil jeder Klugheit ist. Für die Steine, die die Hauptrolle im Buch von Marcia Bjornerud spielen, spielt Dummheit kaum eine Rolle und ihr Alterungsprozess ist langsam, ja, sehr langsam. Das Buch durchstreift also ein paar Milliarden Jahre, einen Zeitraum jenseits meiner Vorstellungskraft, aber vielleicht ändert sich das, wenn ich meinem dummen Dummkopf zuhöre, der sagt: Dummheit ist lernbar. Punkt.
Weil es aber um Zeit geht in diesem Kapitel meines GedichteBlogs oder, besser gesagt meines GedichtePlops, wie ich meine Gedichtvorstellungen nannte, als sie noch "in echt" und im Glücksschweinmuseum stattfanden, also, weil es um Zeit und um das Zeitverständnis geht, zitiere ich als zweites Gedicht eines von Elisa Asenbaum.
closeEigenzeit als Eigenschaft

closenichts ist schneller als das Licht
closesagt der freie Wille
closedie Zelle wird zur Zeile
closeextrahirnt den Widerspruch
closeverwildert sich als Ich

closeangehaftet an der Zelle
closerillt drillt die Welt
closeHaltewunsch und dagewesen
closegeborgen ward der Wurm
closeund niemand schrie

closees hallte wallte zeitversetzt
closeder Wandel war im Handel
closeEigenzeit als Eigenschaft
closeHaltewunsch und kein zurück! blätter

Das Buch von Elisa Asenbaum, aus dem das Gedicht stammt, heißt "interirdisch" und ist ebenfalls bei fabrik.transit erschienen. Hier geht es um die Eigenzeit, eine Eigenschaft, die allem anhaftet, Stein, Baum, Wurm, die Eigenzeit, aus der nichts rauskann, in die nichts reinkann, in der der Haltwunsch gewissermaßen eingesperrt ist? So wenig außen wie möglich, so viel innen wie nötig? Oder doch umgekehrt? Welches Lied singt die Zelle (wenn sie singt)? Und wie ziehe ich einen Bogen zu Nikolaus Scheibner, einen Bogen, der mir, als die beiden Bücher so nebeneinander lagen ganz einleuchtend schien?
Vielleicht mit einem kleinen Gedicht von Ilse Kilic, das bin ich und das geht so:
closeGib acht,
closedas Gedicht
closeist Teil der Zeit,
closesagt das Krokodil.

Alles klar?
Gerade habe ich ein Bild von Fritz Widhalm gesehen, es hängt an der Wand und ich finde, es beschließt dieses Kapitel optimal, hier ist es.
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