Fritzchens Alterswerk

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(…)
am donnerstag, 27.10.2022, sind ilse und ich mit der öbb nach linz gefahren. ilse hatte am 28.10.2022 im strandgut eine lesung. gewohnt haben wir im classic hotel wolfinger direkt am hauptplatz. schräg gegenüber befindet sich gleich das lokal alte welt, mit wunderschönem gastgarten im innenhof. bier und essen ist in der alten welt auch sehr gut. ilse und ich haben dort noch bei jedem unserer linzbesuche bier getrunken und gegessen. es ist wirklich sehr nett. auch das hotel wolfinger ist sehr nett, das personal und das gebäude. ein altes gebäude mit vielen engen treppchen und reizvollen winkelchen.
am nachmittag des 27.10.2022 sind wir die donau entlang bis zum pleschinger see spaziert. es war warm und als ilse den nacktbadestrand mit einigen nackten entdeckte, war sie nicht mehr zu halten, gewand runter und
closeclosecloseclosplatsch!
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closecloseclosecloseclosecloseclosecloseclplatsch!
ich habe ilse im wasser fotografiert, damit sie ein paar fotos für ihre facebook-seite hat. zum einedrahn, wie man auf wienerisch so schön sagt. zurück in linz, sind wir in die alte welt, was sonst, ich habe serbisches reisfleisch gegessen und als dessert habe ich mir mit ilse mohnnudeln geteilt. ja, ich alter depp habe fleisch gegessen, tu ich zwar selten, aber gelegentlich doch. ilse hat kein fleisch gegessen. bier getrunken haben wir beide. prost!
am freitag sind wir in den botanischen garten spaziert und haben uns neben all den pflanzen auch die installation "glashausfantasy" der freundinnenderkunst angeschaut.
ein glashaus, oder auch gewächshaus, in seiner einfachsten form begleitet die freundinnenderkunst nun seit über zwei jahren. das konventionelle kunststoffaluobjekt aus einem baumarkt ist reich an vielschichtiger symbolischer wirkkraft und eröffnet ein breites themenfeld um zu fantasieren. als kultivierter ort ist dieser gestaltete naturraum des botanischen gartens sozusagen ein muss für die glashausfantasy der künstlerinnen. in der gesellschaft der anderen glashäuser vor ort, welche pflichtbewusst ihre erwartete aufgabe als gewächshäuser erfüllen, fallen die glashausobjekte der freundinnenderkunst natürlich aus dem rahmen.
hmmm … ein fantasievoller dialog nimmt seinen anfang …
aha … gewohnte wahrnehmungen werden auf den kopf gestellt …
pffh … glashäuser spielen verrückt ...

wir haben die glashausobjekte zuerst gar nicht entdeckt und sind nach längerer suche nochmals zum kassahäuschen nachfragen gegangen. dann hat es geklappt und wir haben die 3 glashausobjekte bewundert, in denen die wiese wächst, die rund um sie abgemäht ist.
die glashausobjekte waren so gebaut, dass sie den eindruck erweckten, als würden sie in der erde versinken. vor scham über uns menschen in der erde versinken. das ist meine interpretation, was sich die freundinnenderkunst dabei gedacht haben, weiss ich nicht.
nach dem besuch im botanischen garten haben wir uns im oö kunstverein die fotografieausstellung "arlette" von felix friedmann angeschaut. arlette in allen möglichen mehr oder weniger alltäglichen situationen ihres lebens.
mit der serie "arlette" erzähle ich eine beziehung zu einem menschen, beginnend im jahre 2000. zu beginn war das verhältnis geprägt durch die rollenverteilung photograph-model, täter-opfer, eine rolle, die sie hasste. das ausgesuchte bildmaterial bezieht sich ausschließlich auf persönliches material, keine der gezeigten bilder sind auftragsbilder. wie ehrlich und authentisch kann ich mit den bildern die geschichte einer beziehung darstellen. photographie wird immer ein subjektives medium zur darstellung der wirklichkeit sein, dies ist mein blick auf arlette.
okay, ich kann verstehen, dass arlette ihre rolle in diesem setting hasste. der rollenverteilung photograph-model, täter-opfer würde ich noch besitzer-eigentum und konsument-ware hinzufügen. die fotos sind nett anzuschauen, technisch gut gemacht, der bildausschnitt gut gewählt und irgendwie trotzallem als spontane schnappschüsse getarnt. über die beziehung erfährt man über die rollenverteilung hinausgehend so gut wie nichts, aber wahrscheinlich ist das auch gar nicht wirklich möglich. ob sich arlette inzwischen von felix getrennt hat, weiß ich nicht, ich wünsche hiermit beiden das beste.
kaffee und apfelstrudel.
der ort der lesung namens strandgut ist eine nette kleine mischung aus ausschank und galerie nahe des donauufers in linz urfahr. der ältere herr hinter der bar, man könnte in durchaus als althippie bezeichnen, war mir irgendwie sofort sympathisch, obwohl sich unsere zusammentreffen, auf die bestellung von bier und ein freundliches lächeln beiderseits beschränkten. der ausdruck althippie ist in diesem kontext als positiv zu werten. auch seine auffallend große knollige nase erfreute mich sehr und wurde von mir sofort als eine möglichkeit des schönseins erkannt.
die veranstaltung war mir dann etwas zu viel auf witz komm raus, du bist umzingelt getrimmt. ilse fühlte sich sichtlich nicht sehr wohl in diesem lustigen setting und versuchte sich auf der bühne zu verstecken. ich schmunzelte mitfühlend. na ja, was solls, die welt geht nicht unter durch ein paar witze, ob sie davon besser wird, wage ich zu bezweifeln.
wir werden uns noch eine weile mit einem wohlwollenden lächeln an diese veranstaltung erinnern und dann vergessen, wie wir so vieles in unserem leben vergessen.
am tag unserer rückreise nach wien haben wir uns im OK Linz die ausstellungen "the artwork as a living system" von christa sommerer und laurent mignonneau und "metaverse, urwienerisch - pixels" von kollektiv cryptowiener angeschaut. beide sind durchaus sehenswert. die cryptowiener erwärmen das herz durch kleine details, die sich in den installationen entdecken lassen und auf feinsinnigen humor hinweisen.
in der vertrauten umgebung von wiener kaffeehaus und fußballplatz lädt die ausstellung also zum eintauchen in die, bis dahin vielleicht noch unbekannte, welt des metaverse. je nach entdeckungsfreude, digitalen skills und leistungsstärke des eigenen smartphones lässt sich das hier spielerisch erkunden.
auf diese entdeckungsreise mit dem smartphone haben ilse und ich verzichtet. muss nicht sein, war trotzdem fein.
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"the artwork as a living system" bietet auch viel spielerisches und digitales. ein eigenes smartphone ist nicht vonnöten, die digitale technik ist teil der ausstellung und somit vor ort. ilse und ich haben ausgiebig damit gespielt, warum auch nicht, wir spielen durchaus gerne. unsere, aus digitalen fliegen gezeichnet, porträts haben wir fotografiert. wir sehen sehr nett aus.
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auch donna haraway wird herangezogen, um die ausstellung zu begleiten bzw. zu kommentieren.
maschinen des späten 20. jahrhunderts haben die unterschiede zwischen natürlich und künstlich, geist und körper, sich selbst entwickelnd und extern entworfen und viele andere unterscheidungen, die früher für organismen und maschinen galten, gründlich zweideutig gemacht. unsere maschinen sind beunruhigend lebhaft und wir selbst erschreckend träge.
ich bezweifle, dass sich donna haraway durch diese ausstellung als annähernd richtig interpretiert gefühlt hätte.
closeclosecloseclosecloseclosecloseclwas solls.
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closeclosecloseclosecloseclosecloseclowas solls.
ich bin auch nur ein alter depp und erfreue mich gerne.
belanglosigkeit ist oft sehr beruhigend.
es war durchaus fein, die beiden ausstellungen besucht zu haben.
nach dem kunstgenuss haben ilse und ich noch am donaustrand winterhafen frische luft getankt um genug sauerstoff für die heimreise mit ffp2-maske zu haben.
wir gehören noch immer zu den menschen, die bisher von corona verschont geblieben sind.
so ist es, so soll es bleiben.

(…)
halloween bei augustin. nein, er heißt august und ist der sohn des dichters gerald bisinger, dessen gedichte ich sehr schätze.
gerald bisinger ist 1999 im alter von 62 jahren gestorben.
augusts mutter war die malerin eva-maria geisler, sie ist 2005 im alter von 69 jahren verstorben.
auch ihre werke haben mich oft erfreut. der dichter gerhard jaschke schreibt im katalog zur ausstellung "25 portraits von dichterinnen und dichtern der gav":
bei ihren porträts beschäftigt sie sich nicht nur mit der physiognomie, sondern auch mit den werken und spezifischen merkmalen der porträtierten. sie lässt alle nach links blicken. auf günstige seiten der physiognomie der porträtierten legt sie keinen großen wert, wirft dafür aber fragen auf und erzeugt einen eigenen charme. die porträts wirken gleichzeitig auch als aufruf, sich mit den werken der porträtierten auseinanderzusetzen.
august bisinger macht sich immer sehr viel mühe bei den von ihm in seinem haus und garten veranstalteten festen. im garten hat er einen tollen friedhof und eine art geisterbahn oder geisterpfad aufgebaut. auf dem klo beginnt bei eintritt ein gruseliger soundtrack zu tönen und sogar die speisen sind gruselig, totenköpfe mit tomatenfülle, torten in form eines friedhofs oder keks in form eines abgetrennten fingers. fehlt nur mehr der*die DJ, der*die einen gruselsoundtrack für die party liefert. ende der 50er, anfang der 60er jahre gab es einen richtigen gruselpop-boom, der eine menge toller songs für halloween hervorbrachte.
close"at the house of frankenstein" 1958 von big bee kornegay
close"dinner with drac" 1958 von john zacherle 'the cool ghoul'
close"scene of the crime" 1958 von dinah shore
close"rockin' in the graveyard" 1959 von jackie morningstar
close"the howl" 1959 von johnny eager
close"the mummy" 1959 von bob mcfadden and dor
close"monster mash" 1962 von bobby 'boris' pickett and the crypt-kickers
close"mr. were-wolf" 1963 von the kac-ties
close"dracula's daughter" 1964 von screaming 'lord' sutch
close"frankenstein stomp" 1964 von count lorry and the biters
na ja, ein bisschen ghoul music von frankie stein and his ghouls darf zu halloween natürlich auch nicht fehlen.*
ilse und ich blieben bis zirka 5 uhr früh beim lagerfeuer in augusts garten. august, ich, ilse, jopa, klaus und melamar waren der rest vom fest, nüchtern waren wir alle nicht mehr. nein, stimmt nicht ganz, klaus ist immer nüchtern, er trinkt nämlich keinen alkohol.
klaus hämmerle ist der bassist der wiener band dun field three. sie haben bisher das album "dun field three" 2019 und die ep "we came from the ocean where everyone swallows the words" 2022 veröffentlicht.
am 01.11.2022 habe ich mir den film "moonage daydream" von brett morgen im admiral kino angeschaut. eine art dokufilm über david bowie. bei den szenen als kids mit orange gefärbten haaren und bowie-blitz im gesicht in ein konzert von ziggy stardust drängten war ich zu tränen gerührt. ja, ich war auch eines dieser kids aus proletarischen verhältnissen, denen david bowie ein neues leben schenkte. tatkräftig unterstützt von bands wie t.rex, the sweet, roxy music, sparks oder cockney rebel.
die erste platte, die von david bowie in mein leben kam, war 1972 die single "starman / suffragette city".
und es wurden bald mehr.
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diese beiden bilder von david bowie habe ich für meine sweetheart-liste gezeichnet, in der sich bisher die bowie-songs "space oddity", "velvet goldmine", "time", "we are the dead" und "teenage wildlife" finden. zur zeit bewege ich mich mit meiner liste im jahr 1991.
ilse hat hunger, also sag ich meinem alterswerk jetzt ade und bewege mich in die küche.
__________
*oho, von frankie stein und gruselpop habe ich bereits auf seite 89 erzählt. die leser*innen meines alterswerks werden sich jetzt wohl denken, der dichter widhalm fritz ist ein schwätzer. okay, ist er ja auch, was solls. ohne gruselpop kein alterswerk, so ist es eben.

(…)
der dichter widhalm fritz wird sich wieder mal an einem gedicht versuchen.

closeich zucke meine schultern.
closedas gelächter ist nicht weit.
closewas schließen wir daraus?
closeder regen läßt nach.
closejedes schöne gefühl hat seinen geruch.
closeglücklich lebt, wer glücklich lebt.
closeich lache vergangenheit.
closemein alter ist mir bekannt.
closedie wohnungstür quietscht.
closewohnungen haben gewöhnlich nur eine tür.
closepersönlich ist das nicht gemeint.
closezum glück ist man ja innerhalb.
closeman interessiert sich für die möglichkeit,
closeetwas zu hören. und es ist still.
closeauch im bad keine fremden menschen.
closeit's my life, nana na nana, nana na nana.
closeman muß ja damit leben undsoweiter.

closeich zucke meine schultern.
closealle geschichten haben ein auf wiedersehen.
closespuck sofort den frosch aus!
closenovember ist nicht der richtige umgang für mich.

so ich denke das reicht für heute, 04.11.2022.

(…)
nachtrag zu linz. bei unserem spaziergang zum donaustrand winterhafen gerieten wir in eine autofahrer*innendemo.
klimaleugner*innen sozusagen.
die autos waren mit rot-weiß-roten fahnen behangen. ein lautsprecher verkündete die wahrheit über die klimalüge.
ein autofahrer forderte das ende des russlandboykotts, damit die österreicher den wohlstand genießen können, den sie verdienen. wie er wohl darauf kommt, dass die österreicher mehr wohlstand verdienen als der rest der menschheit, von den österreicherinnen mal abgesehen, die anscheinend auch keinen wohlstand verdienen. es gibt tage, da denke ich im stillen bei mir, die österreicher kann man getrost in die kategorien trotteln und volltrotteln einteilen.
ich bin dann wohl ein trottel.
oder lieber doch eine österreicherin.
na ja, ich wurde jedenfalls in österreich geboren.
in niederösterreich genaugenommen.
als schüler*innen haben wir uns immer als neandertaler*innen bezeichnet. zumindest ein paar von uns. wir wollten wild sein, frech sein und uns einfach gernhaben. die meisten erwachsenen empfanden wir als verlogen, autoritätsgläubig und ideenlos. unser soundtrack zum wildsein, frechsein und gernhaben war pop. ohne soundtrack keine ideen.
wir tanzten unsere ideen von einer besseren welt. ja, wir tanzten in der vierten klasse hauptschule zur musik von gil scott-heron, black sabbath, funkadelic, james brown, edgar broughton band, ruby andrews, sly & the family stone, the temptations, john lennon, creedence clearwater revival, the kinks, ike & tina turner, aretha franklin, led zeppelin und manchmal auch zu "in the summertime" von mungo jerry.
wir tanzten mit ernsten augen und lachenden zehen.

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