Kapitel 34: Oh lasst nicht alle Hoffnung fahren (Teil 2)


Beim Ordnen meines Schreibtisches hab ich ein Gedicht gefunden, das Margret Kreidl für mich geschrieben hat. Ja, das Ordnen des Schreibtisches ist (fast) so wie das berühmte "Erinnern-Wiederholen-Durcharbeiten", von dem Sigmund Freud ein Liedchen sang. Falsch: Sigmund Freud sang kein Liedchen. Angeblich spielte er Tarock.
Ich hingegen singe mir ein Liedchen, während ich an den Attersee denke, den ich im Rahmen einer Atterseeüberquerung für Schwimmerinnen und Schwimmer durchschwommen habe und der in der Tat von grünen Wünschen gesäumt ist. Grüne Wünsche und danach in Bechern schäumender süßer Kaffee, so war es und es war gut.

Margret Kreidl:

Liebe Ilse, schlaf viel und träum:
vom Attersee, den grüne Wünsche säumen
für Dich: schwimm leicht ins Neue,
flieg über Zäune, spring von Bäumen
in gepolsterte Zwischenräume,
wo in Bechern Süßes für dich schäumt
und Deine Freundinnen und Freunde
mit Dir trinken und träumen.

Ich kanns nicht lassen, an dieser Stelle auf einen Autor zu verweisen, der mich fasziniert, obwohl ich nur wenige Texte von ihm kenne. Ja so etwas ist möglich. Ich habe ihn anhand von Textauszügen kennengelernt und, naja, es ist nicht viel übersetzt. Der Autor heißt Sigismund Krschischanowski. Es ist nicht der Name Sigismund, dieser an Freuds Vornamen Sigmund erinnernde Vornamen (na gut vielleicht ist es auch ein kleinwenig deshalb), weshalb Krschischanowski mir gerade hier und jetzt einfällt. Er fällt mir vor allem wegen seiner Theorie des Erinnerns ein. Diese ist zwar kein Gedicht, sondern Teil seines Textes "Erinnerungen an die Zukunft", der recht ausführlich im Buch Adam Thirlwell "Der multiple Roman" besprochen wird. Naja und die Hauptfigur dieser Geschichte erklärt die Vergangenheit als "Ergebnis einer Verdrängung einer Wahrnehmung A durch eine Wahrnehmung B". Und er stellt sich vor: "Erhöht man die Resistenz von A, nimmt nicht B den Platz von A ein sondern rückt zwangsläufig daneben".
Ja, somit wäre alles quasi gleichzeitig da, wir müssten uns genau genommen gar nicht erinnern, weil die Vergangenheit ja in die Gegenwart geholt ist, indem sie für die verschiedenen Wahrnehmungen reicht, die quasi gleichzeitig existieren. Die Erinnerung wäre dann ein Wahrnehmen. Punktum. Auf die Frage, was das wiederum mit der Zukunft zu tun hat, kann ich keine Antwort geben. Vielleicht konnte es Krschischanowski, ich kann es nicht.
Das macht nichts.
Die Zukunft bedarf meiner Antwort nicht.

In der Lyrik-Anthologie "Versnetze "8 entdecke ich ein Gedciht von Astrid Nischkauer, das mir an diese Stelle zu passen scheint:

Astrid Nischkauer

fahre rückwärts
und blicke dabei
in die gleiche Richtung
wie gestern
als ich vorwärts blickte,
beim Zurückfahren

Und ich? Ich singe weiterhin ein kleines Lied der Zukunft entgegen:

I was dreaming in my dreaming / of an aspect fair and bright / I awakened to the cry /
that the people have the power / to redeem the work of fools

Dann lege ich die Platte von Patti Smith auf, um zu sehen, ob ich mich so ungefähr richtig erinnert habe (habe ich nicht). Von Patti Smith stammt das Lied: "People have the Power". Man kann es sicherlich auch irgendwo auf you tube hören. Es ist nicht mein absolutes Lieblingslied von Patti Smith aber ein bisschen Ermutigung kann ich fast immer brauchen.

Oh, lassen wir nicht alle Hoffnung fahren!