Kapitel 13: Wild durch Raum und Zeit


Wie suche ich die Gedichte aus, die ich hier präsentiere? Es geht ja wild durch Raum und Zeit. Na ja, gar so wild ist es eigentlich auch wieder nicht. Es sind Gedichte, die mir aus verschiedenen Gründen bleibenden Eindruck gemacht haben. Es können natürlich niemals alle Gedichte, die mir bleibenden Eindruck gemacht haben, hier Erwähnung finden, das ginge in der Tat nicht. Es ist also immer auch ein Zufall, wie so vieles im Leben Zufall ist, etwas also, das uns "zufällt". Ich habe gestern mein Nachtkästchen aufgeräumt. Na ja, wird Fritz sagen, wenn er diese Zeilen liest - er wird sie lesen - er wird also sagen: von dieser Ordnung merkt man gar nichts. Und irgendwie stimmt das auch. Mein Nachtkästchen ist genau genommen auch kein Nachtkästchen, sondern ein Bücherregal, in dem sich so einiges stapelt, was gelesen werden will. Aufräumen kann also nicht "wegräumen" heißen, sondern nur "umräumen", und das sieht auf den ersten Blick oft gar nicht ordentlich aus. Waren die Bücher zuvor fein säuberlich nach Größe geordnet, so liegen sie nun in fröhlichem Durcheinander, nein falsch, sie liegen in der Ordnung meiner Lesegewohnheiten, nein, meiner Lesevorhaben und Leselaunen. Da kann es schon vorkommen, dass mein eigenes Tagebuch aus dem Jahr 2013 neben dem Reclamband "Deutsche Unsinnspoesie" zu liegen kommt. Gestern am Abend las ich darin einen Leberreim von Georg Greflinger, der ging so:

Die Leber ist vom Hecht und nicht von einem Rochen:
Das Glück gibt manchem Fleisch, dem andern leere Knochen.
Doch werden beyde satt, und was noch ärger ist
ist, der es nicht verdient, daß der das beste frißt

Leberreime sind eine vermutlich bis in das 16. Jahrhundert zurückreichende alte deutsche Form von improvisierten Scherzgedichten. Ja, das Wort Scherzgedicht kennt die Rechtschreibprüfung nicht, die will immer Schmerzgedicht draus machen. Georg Greflinger lebte von 1620 bis 1677. Nunja, man kann es Scherzgedicht nennen, aber man muss nicht. Scherz ist ja auch ein Wort mit, ja wie soll ich sagen, etwas oszillierender Bedeutungen, nämlich:
nicht[1] nicht ernst zu Nehmendes
nicht[2] das Hereinlegen einer Person zum Zwecke der Belustigung (Quelle Wiktionary)

Ja und was steht in meinem Tagebuch? Es ist eigentlich kein richtiges Tagebuch, mehr ein Notizbuch und ich habe mir im letzten Eintrag des Jahres 2013 Skizzen für ein Alphabet gemacht, die ergeben ein Gedichtfragment:

A wie Arbeite nie!
B wie Bilde dich ein!
C wie Cut.
D wie Denke doppelt.
E wie Erkenne den Esel in dir.
F wie Fliege fort.
G wie Grunze im Glück.
H wie Hilf deinem Herz.
I wie Irre dich Immer.
J, K, L, M, N, O, P, Qu, R
S wie Schwimme im See
T, U, V, W
Z wie Zittere zornig.

Jetzt denke ich an das lateinische Palindrom, das zugleich der Titel von Guy Debords letzem Film war. Stichwort: Situationistische Internationale.
Das Palindrom lautet: In girum imus nocte et consumimur igni.
Übersetzung: Wir gehen des Nachts im Kreise und werden vom Feuer verzehrt.
Den lateinischen Satz kann man "von hinten" und von vorne lesen.
Gedicht ist er deswegen aber noch keines. Oder aber vielleicht doch?