Ilse Kilic:
ach die sprache
2006, 72 Seiten, Euro 10,50

978-3-902190-20-8
erschienen und zu bestellen bei
edition zzoo

 

(leseprobe)


*Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen schreibenden und beschriebenen Personen hat auch Ilse Kilic im Rahmen der Verwicklungsromane immer wieder beschäftigt, denn: In diesen Romanen kommen Menschen vor, denen Jana Brenessel und Ilse Kilic im wirklichen Leben begegnet sind. Manche kommen häufig vor, manche weniger häufig, manche erscheinen so positiv, dass es ihnen eine helle Freude sein müsste, sollten sie sich wiedererkennen. Aber nicht alle Menschen wollen sich selbst in einem Roman begegnen! Oder, sagen wir so: Manch Leser, manch Leserin will sich erkannt fühlen, sich in den Figuren wieder erkennen, aber so, dass er oder sie mit seiner Problematik quasi verallgemeinert auftritt. Solch Leser und Leserin wollen in einem Roman gewissermaßen induktiv auftreten, dabei jedoch nicht das Einzelschicksal darstellen, auf dem die Induktion beruht. Sie wollen das Gefühl haben, dass ein anderes Einzelschicksal sich im Roman zu jener allgemeinen Schicksalshaftigkeit verdichtet, die es ermöglicht, sich selbst als Einzelschicksal darin finden zu können.

 

Im Folgenden bringen wir Ausschnitte aus einem Gespräch, das Jana Brenessel und Ilse Kilic in einem Chatroom, also in aller Öffentlichkeit, geführt haben. Eine Abschrift des gesamten Gesprächs lagert im Archiv der Edition Fussnoten zur Weltgeschichte.
-Wenn wir nun davon ausgehen, dass ich überwiegend als Autorin in dieser Welt präsent bin, du aber überwiegend als Romanfigur, dann könnten wir nun diese beiden Arten von Anwesenheit vergleichen…
-Also so wie ich es sehe, gibt es vor allem einen wesentlichen Unterschied: Ich kann mein Leben nicht in gleichem Ausmaß gestalten wie du! Als du an Brustkrebs erkrankt bist, hast du dieselbe Diagnose in die Geschichte meines Lebens geschrieben…
-Das stimmt. Aber du wirst doch nicht davon ausgehen, dass ich mein Leben gerade in diesem Punkt selbst gestaltet habe. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sich die eigene Lebensgeschichte freiwillig mit Krebs gestaltet. Das passiert. Und so ist es auch mir passiert. Und du als meine heimliche Zwillingsschwester musst nicht nur die schönen Seiten, sondern auch die bitteren Erfahrungen mit mir teilen.
-Schöne Seiten, natürlich. Dazu gehört aber auch das Schreiben. Das ist ja der Grund, warum ich meinerseits damit begonnen habe. In meinen beiden Publikationen habe ich dich als Romanfigur festgeschrieben!
-Also sind wir nun Beide Beides, Schreibende und Beschriebene*. Aber wissen wir genug übereinander?
-Naja, die Frage muss doch anders lauten: Wissen wir genug über uns selbst? Oder: Wissen wir genug über die Wirklichkeit, die wir als Rohmaterial verwenden?
-Ist es überhaupt möglich, genug über die Wirklichkeit und über die in ihr befindlichen Personen zu wissen? Kann die Wirklichkeit eine in ihr befindliche Person ausreichend zur Darstellung bringen?
-Ein Roman kann der Vielfalt einer Person jedenfalls nicht gerecht werden. Ich hege aber die Befürchtung, dass die Wirklichkeit dem Roman zwar in vieler Hinsicht überlegen, in dieser Hinsicht jedoch unterlegen ist.
-Ein Unterschied zwischen dem Leben im Roman und so genanntem wirklichen Leben ist auch, dass man in einem Roman das Ende am Anfang lesen kann.